Sonntag, 15. Oktober 2017

Studieren mit Asperger

Seit einer Woche hat das Wintersemester angefangen. Deshalb habe ich mir gedacht, dass ich etwas zum Thema Asperger und Uni schreiben könnte. 

Prüfungen

Ich studiere Mittelalterstudien im Master und habe den Bachelor in Germanistik gemacht. Da es in meinem Studiengang hauptsächlich um die Analyse von Texten geht, ist es bei uns üblich, anstelle von Klausuren Hausarbeiten zu schreiben. Als Aspie wird man bei dieser Prüfungsform mit verschiedenen Vor- aber auch Nachteilen konfrontiert. Sehr angenehm ist natürlich die Tatsache, dass man Hausarbeiten - wie der Name ja bereits ahnen lässt - zu Hause schreiben darf. So habe ich zum Beispiele große Teile meiner Bachelorarbeit im Bett geschrieben - Schande über den, der jetzt ein schlechtes Wortspiel im Kopf hat ;) Probleme mit lauten Hörsälen oder nach Butterbrot stinkenden Sitznachbarn lassen sich so vermeiden. 
Schwierig finde ich hingegen die Strukturierung der Aufgabe. Aufgrund unserer Liebe fürs Detail haben viele Aspies Probleme damit, eine große Aufgabe zu überblicken und anzugehen. Ich schreibe viel lieber viele, kleine Kapitel über mehrere Themen als ein großes Kapitel über ein riesiges Thema. Wenn ich versuche, ein Thema zu überblicken, "entgleiten" mir die Ideen und mein Text wird sprunghaft und ohne jedes Ziel. Da hilft es, möglichst ein Thema zu wählen, das von sich aus bereits unterteilt ist. Ein anderes Problem tritt auf, wenn ich mehrere Hausarbeiten hintereinander schreiben muss. Wie viele andere Aspies auch, kann ich mich nur schwer an Veränderungen gewöhnen. Deshalb überfällt mich auch jedes Mal, wenn ich gerade eine Hausarbeit beendet habe und ich sofort eine neue anfangen muss ein unerträgliches Gefühl von... tja, wie beschreibt man das Gefühl bei Veränderungen eigentlich? Verzweiflung? Unsicherheit? Es ist vielleicht ein bisschen so, als sei man gerade im Schwimmbad vom Sprungturm geschubst worden und hätte dabei noch nicht richtig realisiert, dass man gerade fällt. 

Andere Studenten und Profs

Ein großes Problem an den Universitäten Deutschlands ist, dass Veranstaltungen, die eigentlich dafür gedacht sind, neuen Studenten dabei zu helfen, soziale Kontakte zu finden, nur für solche Studenten konzipiert sind, die genau damit ohnehin keine Probleme haben. So habe ich in meinem ersten Semester verzweifelt versucht, bei Kneipentouren und Schnitzeljagd einen tiefgründig-philosophischen Seelenverwandten zu finden, der möglichst genauso ungern in Gruppen rumhängt wie ich und dabei auch noch möglichst wenig Alkohol konsumiert. Wie das ausgegangen ist könnt ihr euch wahrscheinlich denken. 
Andere Studenten halten mich nach einiger Zeit wahlweise für "komisch", "arrogant" oder "verrückt". Zu Beginn meines Studiums ist mir das noch stärker aufgefallen, da Mittelalterstudenten vielleicht doch etwas schrulliger sind als Germanisten und mir somit in manchen Dingen vielleicht sogar ähneln. Erst richtig schlimm wird es, wenn Professoren einen für komisch halten. So hatte ich letztes Jahr eine Dozentin, die mir ganz offen vor allen Studenten mittelte, dass ich Probleme mit der Pragmatik hätte (der sozialen Verwendung von Sprache) und doch bitte meine Sprache besser an den sozialen Kontext anpassen solle. Damit hatte sie - ohne meine Diagnose zu kennen - ein typisches Aspergerproblem beschrieben. Ich merke einfach nicht, wann ich für andere Personen zu simpel oder zu hochgestochen spreche. Seit diesem Zeitpunkt hatte ich immer wieder den Eindruck, dass die Dozentin mich nicht leiden konnte, weshalb ich mich dazu entschloss, den gesamten Kurs fallen zu lassen. Ein anderer Professor merkt immer wieder an, dass ich für eine Germanistin doch "ausgesprochen stark auf realistische Handlungen in fiktiven Texten" bestünde, da ich recht gern unlogische Textstellen kritisiere. Dieser Prof ist dabei aber sehr nett. 

Sensorisches

Mein empfindlichster Sinn ist das Hören. Während es in der Bahn und an anderen lauten Orten durchaus möglich ist, Ohrstöpsel zu benutzen, sind diese in einer Vorlesung weniger sinnvoll - man hört damit zwar die nervigen Studenten nicht mehr, den Prof aber leider auch nicht mehr. Manchmal nutze ich in kleineren Vorlesungen und Seminaren leichtere Ohrstöpsel, die nur sehr wenig Lautstärke dämpfen. Das bringt ein wenig Erleichterung, vor allem, wenn man einen Studenten mit einer wirklich sehr lauten und unangenehmen Stimme neben sich hat. In größeren Vorlesungen ist es meiner Erfahrung nach sinnvoller, sich weiter nach vorne zu setzen. Somit besteht das Problem, die Stimme des Vortragenden aus tausend anderen Geräuschen herausfiltern zu müssen, nicht mehr so stark. Zwischen den Vorlesungen verstecke ich mich gerne an ruhigeren Orten.
Wenn ich einen Overload habe, starre ich oft ins Leere, wodurch ich andere Reize ausblenden kann. Dieser Blick wird ganz gerne mit Unaufmerksamkeit verwechselt, weshalb ich schon oft erklären musste, dass ich mich durch diesen Blick sogar besser konzentrieren kann. 

Welche Erfahrungen habt ihr mit der Uni gemacht und was studiert ihr so? Es würde mich interessieren, von euren Erlebnissen zu hören.

Ich hab schonmal einen Wikipediaartikel über Autismus gelesen, du kannst das gar nicht haben!

Eigentlich gehe ich recht offen damit um, dass ich Autistin bin. Die Reaktionen auf diese Selbstoffenbarung sind gemischt: Manche sind einfa...