Mittwoch, 25. April 2018

Ich hab schonmal einen Wikipediaartikel über Autismus gelesen, du kannst das gar nicht haben!

Eigentlich gehe ich recht offen damit um, dass ich Autistin bin. Die Reaktionen auf diese Selbstoffenbarung sind gemischt: Manche sind einfach neugierig und fragen nach, manche sind zunächst skeptisch, lassen sich danach aber belehren und manche glaubten mir einfach und wechseln danach das Thema. Alles Reaktionen, mit denen man irgendwie umgehen kann, doch die Reaktion, die ich heute bekam, war die Spitze der Uneinfühlsamkeit. Das Gespräch verlief folgendermaßen:

-"Ich hab Asperger."
-"Nein."

An diesem Punkt wurde ich schon leicht nervös. Wenn mir die Person wenigstens einen Grund für "Nein" gegeben hätte, dann hätte ich mich an dieser Stelle noch irgendwie erklären können, aber ein simples Nein ist einfach unangreifbar.

-"Ist das nicht eine Form von Autismus?"
-"Ja."

Man bemerke die Kürze meiner Antworten. Hier war ich mit den Nerven schon so fertig, dass es sich bereits auf meine Kommunikationsfähigkeit ausgewirkt hat. Durchaus bemerkt habe ich aber, dass die Frage den Gedanken suggerierte, dass "Autismus doch eine so schwere "Krankheit" sei, dass eine Studentin, die gerade mit anderen Menschen auf einer Wiese sitzt, das unmöglich haben könne".

-"Dann nenn mir doch mal deine Symptome." (Warum zur Hölle muss ich das jetzt beweisen??)
- *stotter* *vor Angstschweiß trief* "Ähhh... Mobbing zum Beispiel, meine Mitschüler fanden, ich sei komisch."
- "Also du wirkst jetzt nicht verrückter als jede andere leicht verrückte Person auch."
- "Das liegt an der Kompensation."
- "Ne, also auf mich wirkst du jetzt völlig normal, aber wenn dus unbedingt für deine Selbstrechtfertigung brauchst, deine Sache."

An diesem Punkt war ich dann kurz vor einem Heulkrampf und konnte überhaupt nicht mehr denken. Nur noch ein "lasst uns bitte das Thema wechseln" kam noch irgendwie raus, aber das einzige, was das noch brachte, war, mich vor der Peinlichkeit des Weinens vor anderen Menschen zu bewahren. Ich hätte dieser unempathischen Person eigentlich so viel sagen sollen! Ich hätte sagen sollen, dass es unhöflich ist, Leuten, die einem gerade etwas sehr persönliches anvertraut haben, zu widersprechen. Ich hätte sagen sollen, dass mein Diagnostiker aus der Spezialambulanz wohl wusste, was er tat, als er mir die Diagnose stellte. Ich hätte sagen sollen, dass sie sich ihren Bachelor in Psychologie in ein beliebiges Körperteil hätte stecken sollen. Aber nein, ich war wie gelähmt und das schlimme daran ist, dass meine Unfähigkeit, in dieser Situation zu kommunizieren, auch noch ein typisches Autismussymptom ist, das natürlich von keinem außer mir bemerkt wurde.

Warum sagen Menschen so etwas? Denken die wirklich, das würde einen irgendwie beruhigen? Danke, dass du mir endlich die Augen geöffnet hast, liebe Frau mit Laienwissen! Durch dich konnte ich erkennen, dass ich mir den Autismus nur einbilde, um mein nur leicht verkorkstes Leben vor mir selbst zu rechtfertigen. Dadurch, dass du, die du mich gerade erst seit zwei Stunden kennst, mir gesagt hast, ich wirke normal, kann ich endlich einsehen, dass ich eigentlich gar nicht am Asperger- sondern am Münchhausen-Syndrom leide! Ich möchte kotzen. 

Doch dass hier jemand ohne Ahnung vom Thema einfach irgendetwas behauptet, ist eigentlich gar nicht das schlimmste an der Sache. Also abgesehen davon, dass diese Person jetzt immernoch frei herumläuft, ohne aufgeklärt worden zu sein. Nein, das schlimme daran ist, dass man mit seinen Problemen nicht ernst genommen wird. Ich gehe ja auch nicht zu einer Person mit Diabetes oder Blinddarm und sage Nö, du lügst. Wärst du wirklich krank, würdest du ja bluten. Es verletzt, wenn man gerade all seinen Mut zusammen genommen hat und von etwas so persönlichem spricht und die andere Person dann gar nicht wahrnimmt, welche schmerzvolle Vergangenheit eigentlich dahintersteckt.

Das Problem ist natürlich, dass Autismus eine unsichtbare Behinderung darstellt. Hätten wir ein fehlendes Körperteil oder würden wir im Rollstuhl sitzen, wäre die Situation klar. Wenn überhaupt, kann man Autisten ihren Autismus nur anhand ihres Verhaltens ablesen. Doch dadurch, dass viele Autisten stark kompensieren, ist nicht einmal mehr das möglich. Das Kompensieren führt aber zu einem weiteren Grund, weshalb es verletzt, wenn man von einer anderen Person die Diagnose abgesprochen bekommt. Jahrelang habe ich mich selbst verleugnet, um nicht aufzufallen. Habe mich angepasst, um nicht abgelehnt zu werden und meine halbe Persönlichkeit eliminiert, damit endlich jemand mit mir befreundet sein möchte. Dann hat sich herausgestellt, dass dieser verleugnete Teil meiner Selbst den Namen Autismus trägt und der soll nun nicht existieren weil Miss Psychologiestudium* ihn nicht mehr sieht? Zufälligerweise mag ich meinen Autismus mittlerweile und möchte nicht, dass er verschwindet. Wenn jemand behauptet, er würde nicht existieren, macht mich das traurig, denn ich habe meinen Autismus gern. Verleugnest du meine Diagnose, so verleugnest du einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit.

Also bitte, liebe neurotypische Leser, sprecht niemals einer Person, die von sich sagt, sie sei Autist/in die Diagnose ab! Denn das ist nicht nur ganz schön unempathisch, es ist auch übergriffig, bagatellisierend und verletzend.


* Ja, nagut, ich bin ein bisschen neidisch auf sie, weil sie Psychologie studieren darf und ich nicht.

Montag, 9. April 2018

Kritik zum Film "Ella Schön" Teil 1 (Spoiler)

Gestern lief der erste Teil des Films "Ella Schön" im ZDF. Viele Autisten haben sich dazu bereits geäußert, indem sie die klischeehafte und überzogene Darstellung des Asperger-Syndroms kritisierten. Doch was ist an dem Film eigentlich so klischeehaft und welche Elemente stellen das Thema Autismus vielleicht doch nicht so schlecht dar? In meinem folgenden Beitrag erzähle ich über meinen eigenen Autismus, indem ich erkläre, wie ich persönlich in den jeweiligen Situatuonen reagiert hätte.

Zu Beginn des Films reist die Juristin Ella Schön auf eine Ostseeinsel, wo sie ein Haus geerbt hat. Ella ist gerade auf dem Weg zu einem Termin, als sie plötzlich eine Frau auf einem Fahrrad anfährt, die nicht mehr ausweichen konnte. Die Frau ist völlig fertig, doch Ella nimmt die Situation nach einem kurzen Schock scheinbar gelassen - emotionslos und roboterhaft entschuldigt sie sich bei der Frau und erklärt dann, dass sie weiter müsse. Bei mir hätte die Situation vollkommen anders ausgesehen. Oft fällt es Autisten schwer, ihre Emotionen herunter zu regeln. Sie sind überwältigt von ihren Gefühlen, was zu Gefühlsausbrüchen führen kann. Wahrscheinlich hätte ich in der Situation angefangen zu weinen. Ich hätte mich tausendmal entschuldigt, hätte mich mehrmals versichert, dass der Frau nichts passiert ist und hätte dann erneut geweint. Dazu, so schnell wieder Auto zu fahren, wäre ich überhaupt nicht in der Lage gewesen! Vielleicht hätte ich noch eine ganze Stunde am Unfallort gessessen und weitergeheult. Dann wäre ich zittrig nach Hause gefahren und hätte an meinen Nägeln gekaut.

Wo wir doch garade beim Thema Nägelkauen sind - Stimming fehlt in dem Film leider komplett. Stimming bezeichnet die sich wiederholenden Bewegungen die Autisten manchmal ausführen, um sich zu beruhigen. Das kann sehr unterschiedlich aussehen. Manche Autisten schaukeln hin und her, manche drehen sich im Schreibtischstuhl, andere widerum wippen mit dem Bein oder spielen mit Gegenständen. Bei Erwachsenen ist das oft unauffälliger als bei Kindern und verlagert sich häufig in die Privatsphäre, da Erwachsene Autisten dafür bereits oft genug schief angeguckt wurden. In den heftigen Ausnahmesituationen wie Unfall oder Geburt, die bei Ella Schön dargestellt werden, wäre Stimming aber zu erwarten gewesen. Ich habe allein durch das Zugucken damit angefangen! Man kann nämlich wirklich nicht behaupten, dass es dem Film an Spannung mangeln würde.

Die emotionale Überladung ist später im Film übrigens besser dargestellt. In der Geburtsszene muss Ella den Raum verlassen und weinen, da ihr alles zu viel wird. Diese Reaktion ist wesentlich typischer und hätte bei mir so ähnlich ausgesehen. 

Dass Ella Smalltalk nicht mag und diesen lieber vermeidet ist zwar typisch für eine Autistin, aber sehr extrem dargestellt. Ella wirkt schroff und abweisend, was den Eindruck vermittelt, dass Autisten nicht an Freundschaften interessiert wären. Dies stimmt aber überhaupt nicht! Oft wünschen wir uns soziale Kontakte, wissen aber nicht, wie man andere Menschen kennenlernt und so wirkt, dass andere uns auch mögen. In Ellas Situation - beispielsweise mit dem Mann im Auto - hätte ich den Smalltalk einige Zeit ertragen und dann das Thema auf eines meiner Interessen gelenkt. Dann hätte ich den Mann die ganze Fahrt über mit meinem Interesse vollgetextet und vermutlich nicht gemerkt, dass es den Mann nicht die Bohne interessiert. Das mit dem Themenwechsel macht Ella übrigens auch - ihr Spezialgebiet sind die Rechtswissenschaften. In der Dartellung ist aber das Vorhandensein eines Spezialinteresses gegenüber emotionaler Kälte leider zu kurz gekommen.

Was in der Darstellung ebenfalls ein wenig daneben gegangen ist, ist Ellas Verhalten bezüglich Ordnung und Routine. Ja, Autisten mögen eine gewisse Ordnung - so habe ich als Kind beispielsweise meine Stifte gern nach Farbe sortiert und als Erwachsene hänge ich meine Wäsche nach Art geordnet auf. Mein Zimmer sah jedoch trotzdem immer schrecklich aus und auch heute ist meine Wohnung eher mittelmäßig ordentlich. Man kann sich das so vorstellen: Im Schrank sind die Oberteile nach kalten und warmen Farben sortiert, aber dazwischen befinden sich Kekskrümel und ein halb leer getrunkenes Glas Wasser. Diese eigenartige Mischung aus Ordnung und Unordnung liegt einerseits daran, dass Routine beruhigt - viele Autisten haben Probleme mit der Handlungsplanung, weshalb eine immer gleiche Routine Struktur ins Chaos bringt. Andererseits haben wir aber immernoch Probleme mit der Handlungsplanung, wozu auch Aufräumen gehört. Man hätte Ella also ruhig etwas unordentlicher darstellen können und sie das ein oder andere Mal mit Unbehagen reagieren lassen wenn sich etwas in ihrem gewohnten Tagesablauf ändert.

Was ich an dem Film allerdings gut finde, ist die Darstellung von Ellas Qualitäten. Über 80 Prozent der Autisten in Deutschland sind arbeitslos, da Arbeitgeber leider mehr auf die soziale Kompetenz als auf die fachlichen Qualifikationen schauen. Damit hat auch Ella zunächst zu kämpfen, jedoch begegnet sie immer wieder Menschen, denen Ellas Talente und ihr Wissen auffallen. Schließlich möchte sie ihr ehemaliger Arbeitgeber zurück und der Anwalt auf der Ostseeinsel erkennt sie ebenfalls als ausgezeichnete Juristin an. Diese Darstellungen könnten durchaus dabei helfen, Arbeitgeber dazu zu bringen, mehr Autisten einzustellen, doch leider ist die Figur der Ella zu unsympathisch und roboterhaft, als dass dies etwas hätte ändern können.

Montag, 27. November 2017

Geburtstage


Von meinem achten Geburtstag existiert ein Tagebucheintrag: „Main [sic] liebes Tagebuch heute habe ich gelernt das [sic] Lautsein doof ist.“ Ich hatte mich in mein Zimmer eingesperrt, um mich vor der lauten Meute schreiender, tobender, Chaos verursachender Geburtstagsgäste zu verstecken. Mein Zimmer war dunkel, nur meine Lavalampe spendete schummriges Licht zum Schreiben. Die Welt war doof und Geburtstag zu haben war sowieso auch doof. Ich verstand die Menschen nicht. Warum mussten sie nur immer so viel Krach machen und so unkontrollierbar sein? Gefühlt rissen meine Geburtstagsgäste mir damals das Haus ab. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, damals in Tränen ausgebrochen zu sein, aber Berichten meiner Mutter zufolge musste sie wohl die Gäste deshalb irgendwann nach Hause schicken.

Ich wurde immer älter und meine Gäste immer weniger. Mit 16 lud ich nur noch drei Gäste ein, mit 18 nur noch einen Gast. Einerseits lag das daran, dass ich – wie so viele Aspies – recht unbeliebt in der Schule war und Probleme hatte, Freunde zu finden. Andererseits hatte ich den Freundschaften aber auch bereits abgeschworen – ganz nach dem Motto: „Ihr könnt mich nicht feuern, ich kündige!“ oder auch „Ihr könnt mich nicht nicht mögen wenn ich euch zuerst nicht mag!“. Außerdem hatte ich es satt, mich an gesellschaftliche Normen anzupassen. Warum sollte ich Partys feiern und mich betrinken, nur weil alle das taten? In diesem Punkt muss ich mein 16-jähriges Ich loben, es war wirklich ein Freigeist ;) Natürlich hatte das alles damals eher eine rebellische Seite als eine selbstfürsorgliche, aber immerhin.

Zum Zwecke dieser Selbstfürsorge habe ich ein paar Ratschläge zusammengestellt, wie man als Aspie seinen Geburtstag nicht nur überleben, sondern auch genießen kann.


1. Eine angenehme Anzahl Gäste
Diesen Punkt hatte ich an meinem achten Geburtstag wohl noch nicht so beachtet. Damals hatte ich zehn Kinder eingeladen, da mir beim Schreiben der Einladungen noch nicht so bewusst war, wie laut zehn Kinder sein konnten. Ich dachte einfach nur ach, mehr Kinder, mehr Geschenke und alle anderen laden ja auch immer so viele Leute ein, also mach ich das genauso. Falsch gedacht. Kurz darauf änderte sich diese Zahl zu der Anzahl an Gästen, die ich gerade so noch ertragen konnte. So war ich zwar vor Heulattacken geschützt, hatte aber dennoch nicht wirklich Spaß an der Party. Heutzutage weiß ich, dass für mich vier mir gut vertraute Gäste okay wären. Lieber feiere ich aber mit jeder Person einzeln. Da kann man sogar mehrmals Kuchen essen und an vielen Tagen im Jahr Geburtstag feiern! ;)

2. Eine ruhige Umgebung
Auch hier muss man vorher abwägen, womit man sich wohl fühlt. Welcher Ort zum Feiern okay ist, hängt bei mir von der Anzahl der Gäste ab. Habe ich nur einen Gast, ist es in Ordnung, auch mal raus an einen lauteren Ort zu gehen, da ich weiß, dass ich dem Gast jederzeit sagen kann, dass ich woanders hin will und weil ich mit weniger Gästen mehr Energie für die Umgebung frei habe. Mit mehr Gästen ist es umso wichtiger, zu wissen, in welcher Umgebung man sich auch für eine längere Zeit wohl fühlt – da würde ich zumindest mich nicht mehr so leicht trauen, zu sagen, dass ich genug habe. Deshalb würde ich mit mehreren Gästen entweder bei mir zu Hause etwas machen oder an andere ruhige Orte gehen. Spontan würde mir da Bowling einfallen oder einer dieser Räume, in dem man für eine Stunde bleibt, um ein Rätsel zu lösen. Manche Städte bieten am späten Abend auch sogenannte „Nachtwächtertouren“ an, bei denen die Gäste durch die Stadt geführt werden und schaurige Geschichten aus alten Zeiten erzählt bekommen. Irgendwann mach ich das mal. Also wenn ich reich bin und genug Energie und Freunde habe… Das kann also noch etwas dauern.

3. Ruheinseln drumherum
All diesen Selbstfürsorgetipps zum Trotz sind Geburtstage eine anstrengende Sache. Man muss ja nicht nur feiern, sich unterhalten und Spaß haben, sondern (zumindest als Erwachsener) alles auch noch planen, vorher putzen, Kuchen backen, Leute einladen und nebenbei auch noch zur Uni gehen. Um da nicht am Geburtstag in einen Overload, Meltdown, Shutdown oder sonstwie gearteten Stresszustand zu gelangen, versuche ich, mir den Tag vor und den Tag nach meinem Geburtstag so wenig wie möglich vollzupacken. Unihausaufgaben werden möglichst vorher erledigt oder müssen halt mal ausfallen. Außerdem wäge ich ab, welche Vorlesungen wirklich nötig sind und welche ich… naja, ihr wisst schon ;) Man muss halt Prioritäten setzen.


Am wichtigsten finde ich allerdings, nicht den Erwartungen anderer genügen zu wollen oder irgendwelche Dinge zu tun, nur weil „alle das machen“. Man hat ja schließlich Geburtstag und da sollte vorrangig man selbst Spaß haben und dann erst die anderen.


Alles Liebe

Traumfresserchen

Sonntag, 15. Oktober 2017

Studieren mit Asperger

Seit einer Woche hat das Wintersemester angefangen. Deshalb habe ich mir gedacht, dass ich etwas zum Thema Asperger und Uni schreiben könnte. 

Prüfungen

Ich studiere Mittelalterstudien im Master und habe den Bachelor in Germanistik gemacht. Da es in meinem Studiengang hauptsächlich um die Analyse von Texten geht, ist es bei uns üblich, anstelle von Klausuren Hausarbeiten zu schreiben. Als Aspie wird man bei dieser Prüfungsform mit verschiedenen Vor- aber auch Nachteilen konfrontiert. Sehr angenehm ist natürlich die Tatsache, dass man Hausarbeiten - wie der Name ja bereits ahnen lässt - zu Hause schreiben darf. So habe ich zum Beispiele große Teile meiner Bachelorarbeit im Bett geschrieben - Schande über den, der jetzt ein schlechtes Wortspiel im Kopf hat ;) Probleme mit lauten Hörsälen oder nach Butterbrot stinkenden Sitznachbarn lassen sich so vermeiden. 
Schwierig finde ich hingegen die Strukturierung der Aufgabe. Aufgrund unserer Liebe fürs Detail haben viele Aspies Probleme damit, eine große Aufgabe zu überblicken und anzugehen. Ich schreibe viel lieber viele, kleine Kapitel über mehrere Themen als ein großes Kapitel über ein riesiges Thema. Wenn ich versuche, ein Thema zu überblicken, "entgleiten" mir die Ideen und mein Text wird sprunghaft und ohne jedes Ziel. Da hilft es, möglichst ein Thema zu wählen, das von sich aus bereits unterteilt ist. Ein anderes Problem tritt auf, wenn ich mehrere Hausarbeiten hintereinander schreiben muss. Wie viele andere Aspies auch, kann ich mich nur schwer an Veränderungen gewöhnen. Deshalb überfällt mich auch jedes Mal, wenn ich gerade eine Hausarbeit beendet habe und ich sofort eine neue anfangen muss ein unerträgliches Gefühl von... tja, wie beschreibt man das Gefühl bei Veränderungen eigentlich? Verzweiflung? Unsicherheit? Es ist vielleicht ein bisschen so, als sei man gerade im Schwimmbad vom Sprungturm geschubst worden und hätte dabei noch nicht richtig realisiert, dass man gerade fällt. 

Andere Studenten und Profs

Ein großes Problem an den Universitäten Deutschlands ist, dass Veranstaltungen, die eigentlich dafür gedacht sind, neuen Studenten dabei zu helfen, soziale Kontakte zu finden, nur für solche Studenten konzipiert sind, die genau damit ohnehin keine Probleme haben. So habe ich in meinem ersten Semester verzweifelt versucht, bei Kneipentouren und Schnitzeljagd einen tiefgründig-philosophischen Seelenverwandten zu finden, der möglichst genauso ungern in Gruppen rumhängt wie ich und dabei auch noch möglichst wenig Alkohol konsumiert. Wie das ausgegangen ist könnt ihr euch wahrscheinlich denken. 
Andere Studenten halten mich nach einiger Zeit wahlweise für "komisch", "arrogant" oder "verrückt". Zu Beginn meines Studiums ist mir das noch stärker aufgefallen, da Mittelalterstudenten vielleicht doch etwas schrulliger sind als Germanisten und mir somit in manchen Dingen vielleicht sogar ähneln. Erst richtig schlimm wird es, wenn Professoren einen für komisch halten. So hatte ich letztes Jahr eine Dozentin, die mir ganz offen vor allen Studenten mittelte, dass ich Probleme mit der Pragmatik hätte (der sozialen Verwendung von Sprache) und doch bitte meine Sprache besser an den sozialen Kontext anpassen solle. Damit hatte sie - ohne meine Diagnose zu kennen - ein typisches Aspergerproblem beschrieben. Ich merke einfach nicht, wann ich für andere Personen zu simpel oder zu hochgestochen spreche. Seit diesem Zeitpunkt hatte ich immer wieder den Eindruck, dass die Dozentin mich nicht leiden konnte, weshalb ich mich dazu entschloss, den gesamten Kurs fallen zu lassen. Ein anderer Professor merkt immer wieder an, dass ich für eine Germanistin doch "ausgesprochen stark auf realistische Handlungen in fiktiven Texten" bestünde, da ich recht gern unlogische Textstellen kritisiere. Dieser Prof ist dabei aber sehr nett. 

Sensorisches

Mein empfindlichster Sinn ist das Hören. Während es in der Bahn und an anderen lauten Orten durchaus möglich ist, Ohrstöpsel zu benutzen, sind diese in einer Vorlesung weniger sinnvoll - man hört damit zwar die nervigen Studenten nicht mehr, den Prof aber leider auch nicht mehr. Manchmal nutze ich in kleineren Vorlesungen und Seminaren leichtere Ohrstöpsel, die nur sehr wenig Lautstärke dämpfen. Das bringt ein wenig Erleichterung, vor allem, wenn man einen Studenten mit einer wirklich sehr lauten und unangenehmen Stimme neben sich hat. In größeren Vorlesungen ist es meiner Erfahrung nach sinnvoller, sich weiter nach vorne zu setzen. Somit besteht das Problem, die Stimme des Vortragenden aus tausend anderen Geräuschen herausfiltern zu müssen, nicht mehr so stark. Zwischen den Vorlesungen verstecke ich mich gerne an ruhigeren Orten.
Wenn ich einen Overload habe, starre ich oft ins Leere, wodurch ich andere Reize ausblenden kann. Dieser Blick wird ganz gerne mit Unaufmerksamkeit verwechselt, weshalb ich schon oft erklären musste, dass ich mich durch diesen Blick sogar besser konzentrieren kann. 

Welche Erfahrungen habt ihr mit der Uni gemacht und was studiert ihr so? Es würde mich interessieren, von euren Erlebnissen zu hören.

Samstag, 30. September 2017

Spezialinteressen und Verliebtheit

Vor ein paar Tagen ist mir aufgefallen, wie sehr sich Spezialinteressen und Verliebtheit doch ähneln. Sowohl eine verliebte Person, als auch eine Person mit Spezialinteresse denkt rund um die Uhr über die Person oder das Themengebiet nach, das sie interessiert. Dazu kommt noch, dass sowohl Verliebte, als auch Personen mit Spezialinteresse am liebsten ununterbrochen über die Person / das Thema reden möchten, und zwar so lang, bis alle Menschen in ihrem Umfeld genervt sind. 

Ich persönlich finde auch die Prozesse des sich Verliebens und des Findens eines Spezialinteresses sehr ähnlich. Da gibt es zum Beispiel das Spezialinteresse auf den ersten Blick. Das war vor allem bei meinem ersten Spezialinteresse der Fall. Ich war damals zwölf und las irgendein Teenagerbuch, in dem die Protagonistin Hexe wurde. Das fand ich so toll, dass ich auch unbedingt Hexe werden wollte und schon war's um mich geschehen - ich recherchierte stundenlang im Internet über Hexen und Esoterik und besitze immernoch tausend Bücher über Liebestränke.

Dann gibt es noch Spezialinteressen, bei denen ich nicht genau weiß, zu welchem Zeitpunkt sie von einem bloßen Hobby zu einem Spezialinteresse wurden. Die meisten meiner Spezialinteressen sind auf diese Weise entstanden.

Wenn man unterschiedliche Aspies nach ihren Interessen fragt, stellt man fest, dass es manche gibt, die ein Leben lang ein einziges Gebiet spannend finden und solche, bei denen die Themen ab und zu wechseln. Erstere könnte man dann "momogame", bzw. "monointeressierte" Aspies nennen und zweitere würden serielle Monointeressie betreiben. Ich weiß nicht, ob man auch mehrere Spezialinteressen gleichzeitig haben kann? Hattet ihr sowas schonmal?

Könnten Spezialinteressen wirklich eine Form der Verliebtheit sein? Ich denke da ein wenig an die Frage im AQ-Test, ob man sich mehr für Gegenstände als für Personen interessieren würde. Sicher kann man sich da natürlich nicht sein, und eigentlich sind mir Menschen auch wichtiger als Gegenstände, aber ich finde die Idee irgendwie süß. Ich habe ja auch manchmal Mitleid mit Gegenständen. ;)

Donnerstag, 28. September 2017

Wie ich mich mit der Diagnose fühle

Es ist zwei Wochen her, dass ich meine Diagnose bekommen habe, was ich zum Anlass nehmen möchte, um darüber zu schreiben, wie es mir damit geht.

Vor der Diagnostik hatte ich mich eingehend wie besessen über das Thema Autismus informiert. Aufgrund meines Vorwissens und auch, da meine Therapeutin mir vorher gesagt hatte, ich sei sehr schlecht im Mentalisieren, war ich eigentlich relativ sicher, dass es Asperger ist. Deshalb war ich auch nicht sonderlich überrascht als ich die Diagnose bekam. Trotzdem ist so ein Diagnostiktermin nichts, was man einfach mal eben wegsteckt. 

Die Erkenntnis, die mich kurz nach dem Termin traf, war nicht die Tatsache, dass ich Autistin bin, sondern, dass ich wohl doch wesentlich auffälliger bin als ich dachte. Da in meinem Studium eher selten Kontakt zu anderen notwendig ist, konnte ich mich der Illusion hingeben, ich sei mit Beginn des Studiums "normal geworden". Ab und zu bekomme ich mal einen irritierten Blick von anderen Studenten zugeworfen, aber das findet alles in einem Rahmen statt, der sich wunderbar ignorieren lässt. Oder vielmehr, der sich ignorieren ließ, da mir der Diagnostiker sehr deutlich gemacht hat, dass ich doch nicht so unauffällig bin wie ich dachte. Seitdem rätsle ich ein wenig herum und frage mich, wie ich wohl auf mich wirken würde wenn ich mich selbst von außen betrachten könnte. Alles sehr verunsichernd. Ich hoffe, das legt sich wieder. 

Ansonsten bin ich froh darüber, zur Diagnostik gegangen zu sein, denn obwohl ich vorher schon von vielen Seiten gehört hatte, dass Asperger passen könnte (meiner Therapeutin, einigen Autisten und einer Autismustherapeutin), zweifelte ein Teil von mir doch immer ein wenig daran. Vielleich war ich ja doch nur introvertiert oder hochsensibel. Dieser Teil schweigt nun, worüber ich sehr froh bin, da das ständige Nachdenken darüber, ob ich denn nun Autistin bin oder nicht, ziemlich anstrengend war.

Auch bin ich froh darüber, endlich eine Erklärung dafür gefunden zu haben, weshalb ich so anders bin als andere. Es ist ziemlich beruhigend, zu wissen, dass ich tatsächlich anders bin und dass ich mich nicht einfach nur "mehr anstrengen" muss, um normal zu wirken. Auch das Wissen darum, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin, ist sehr schön.

Freitag, 22. September 2017

Hallo Welt!

Hi,

ich bin FrauVomSee / Traumfresserchen / eatsdreams und wurde vor kurzem mit Asperger diagnostiziert. Ich bin 23 Jahre alt, weiblich und wohne in einer schönen Stadt in NRW. 

Der Grund, warum ich diesen Blog erstellt habe, ist, dass ich als Jugendliche ziemlich verweifelt versucht habe, herauszufinden, warum ich so anders bin als alle anderen und selbst trotz intensivster Recherche erst sehr spät auf die Antwort gestoßen bin. Ich hoffe ein wenig, dass vielleicht ein paar andere Autisten, die noch nicht wissen, dass sie Autisten sind, zufällig auf ihren Blog stoßen und sich selbst darin wiederfinden. Natürlich ist dieser Blog auch für schon lang diagnostizierte Autisten, für solche, die noch keine Diagnose haben oder wollen und auch einfach für Leute, die am Thema interessiert sind. Also eigentlich für alle, die ihn lesen wollen ;)

Der Name Traumfresserchen stammt übrigens noch aus meiner Grundschulzeit. Damals hatte ich ziemlich viele Overloads (dazu kommt bestimmt noch ein Artikel) und weil ich bei Overloads immer eine Art "träumerischen" Blick bekomme, nannte meine Lehrerin mich Traumfresserchen. Damals wusste meine Lehrerin natürlich noch nicht, weshalb ich immer so guckte. 

So, das war's erstmal von mir und ich freue mich darauf, bald mehr zu posten und eure Kommentare zu lesen. 

Bis bald!

Traumfresserchen

(uhh, ich muss gleich auf den "Veröffentlichen-Knopf" drücken... Gruselig...)


Ich hab schonmal einen Wikipediaartikel über Autismus gelesen, du kannst das gar nicht haben!

Eigentlich gehe ich recht offen damit um, dass ich Autistin bin. Die Reaktionen auf diese Selbstoffenbarung sind gemischt: Manche sind einfa...